5. Oktober 2024

Die nächste depperte Frage: Ist Andreas Babler Marxist?

Kommentar von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA)

Nach widersprüchlichen Aussagen im ORF und bei Puls 24 besteht nun mancherorts Unklarheit, ob sich SPÖ-Vorsitzkandidat Andreas Babler als Marxist versteht oder nicht. Es handelt sich um eine etwas groteske Fragestellung, deren Behandlung hier vorrangig im Sinne des Marxismus durchzuführen ist.

Geschwätz von gestern

Faktum ist zunächst, dass Babler zu seiner Zeit in der Sozialistischen Jugend (SJ), der Jugendorganisation der SPÖ, natürlich Marxist war. „Natürlich“ deshalb, weil das Arrangement mit dem Marxismus in der SJ zu deren strategischen Aufgaben gehört: Indem Jugendlichen vorgegaukelt wird, die SJ sei – im Gegensatz zur SPÖ – eine im Wortsinn sozialistische, somit antikapitalistische, revolutionäre Organisation, gelang es der Sozialdemokratie, Generationen von jungen Menschen an sich zu binden, die in Wirklichkeit bei kommunistischen Organisationen besser aufgehoben gewesen wären. Insofern wirkt die SJ als „linkes“ Feigenblatt der SPÖ – und als Irrlicht für junge Menschen, die sich täuschen lassen und den wahren Charakter der Sozialdemokratie nicht oder zu spät erkennen. Dass sich die SJ z.T. als marxistisch präsentiert, ist ironischer Weise Teil des Antikommunismus der SPÖ nach 1945.

Um alles abzudecken, gab bzw. gibt es in der SJ sogar einen marxistischen Pluralismus: Eine „austromarxistische“ Strömung, die zumeist das gemäßigte Zentrum bildet, eine trotzkistische Strömung (gegenwärtig: „Der Funke“) sowie eine marxistisch-leninistische Strömung („SJ-Stamokap“). Babler gehörte rund um die Jahrtausendwende zu den Führungspersonen der letztgenannten Gruppe, befasste sich auf Seminaren und dergleichen also nicht nur mit Karl Marx und Friedrich Engels, sondern auch mit W. I. Lenin. Das ist auch nichts Besonderes: Generationen von Jungsozialisten besuchten Schulungen zum Wissenschaftlichen Sozialismus, wie der Marxismus korrekt heißt, und studierten den dialektischen und historischen Materialismus sowie die politische Ökonomie. Ungeachtet dessen wurden viele davon später prominente Funktionäre und Politiker der SPÖ, an deren Antisozialismus und Pro-Kapitalismus nicht zu zweifeln ist, einige wurden namhafte Abgeordnete, Minister und sogar Bundeskanzler. Zu diesem Zweck hatten bzw. haben sie den Marxismus natürlich längst abgelegt.

Das gilt auch für Andreas Babler. Er wusste schon zu SJ-Zeiten, dass sich Marxismus und SPÖ nicht ausgehen – sie schließen einander logisch aus. Marxisten gibt es in der Sozialdemokratie in diversen Nischenpositionen, aber nicht im SPÖ-Machtapparat, denn der ist integraler Bestandteil des bürgerlich-kapitalistischen Systems in Österreich – des staatsmonopolistischen Kapitalismus, wie Babler bestimmt noch weiß. Ein Marxist, der in der SPÖ etwas werden will, muss zunächst sich selbst aufgeben, als Marxist nämlich. Und auch die Idee, in die Sozialdemokratie, die 1888/89 durchaus als marxistische Partei gegründet worden war, den Marxismus hineinzutragen, die SPÖ gar wieder in eine marxistische Partei zu verwandeln, ist eine weltfremde Illusion. Nicht die Marxisten – etwa aus der SJ – verändern die Partei, sondern die Partei verändert die Personen. Das ist seit Generationen so. Babler weiß das und hat sich vernünftiger Weise angepasst. Er bezeichnet es als „persönliche Lebensentscheidung“, sich in der Sozialdemokratie zu engagieren, und das macht man eben als Sozialdemokrat, nicht als Marxist. Das Sein bestimmt das Bewusstsein.

Teilzeitmarxismus und Feuerbach

Trotzdem kokettiert Babler offenbar mit dem Marxist-sein, denn er will ja zumindest ein bissel als „links“ gelten. Er bezeichnet den Marxismus als nützliche „Brille“, um damit auf die Welt und ihre Probleme zu schauen. Das stimmt gewissermaßen auch, denn die Marx’sche Kapitalismusanalyse fördert sehr präzise und zwingend zutage, warum der Kapitalismus für die Mehrheit – die Arbeiterklasse – nicht funktioniert, aber für eine kleine Minderheit – die Kapitalisten – Reichtum generiert. Kapitalistische Lohnarbeit bedeutet Ausbeutung, der einbehaltene Mehrwert ist Quelle des Profits. So weit – bis zur Benennung von Funktionsproblemen – schafft’s die marxistische Ökonomie sogar in VWL-Vorlesungen, denn dieses Wissen ist wertvoll: Wer Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit und Marktgesetze begreift, kann dieses Wissen auch zur antisozialistischen, gegenrevolutionären Stützung des Kapitalismus verwenden – das bekannteste Beispiel hierfür ist der Keynesianismus. Er befürwortet soziale Reformen zugunsten der Arbeiterklasse nicht, damit es dieser besser geht, sondern damit der Kapitalismus überlebt. Nichts anderes hat Kreisky getan – und nichts anderes könnte Babler tun.

Denn natürlich ist es nicht möglich, nur den halben Marxismus anzuerkennen: Die Kapitalismusanalyse von Marx ist ja kein Selbstzweck, sondern sie impliziert sodann eine Anleitung zum Handeln. Der Marxismus ist keine Brille zur bloßen Betrachtung des Kapitalismus, sondern ein Werkzeug zu seiner Überwindung – und zwar kein zimperliches, sondern ein Hammer. Wenn Babler dann in der ZiB‑2 vor Armin Wolf zurückschreckt, wenn dieser – offenbar tadellos belesen – auf die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Diktatur des Proletariats verweist, dann erweist sich Babler nicht als halber Marxist, sondern tatsächlich als gar keiner. Gewiss, das mit der „Diktatur“ ist auch ein historisch-terminologisches Problem, vor dem sich allerdings ein wahrer Marxist nicht anzuscheißen braucht. Wenn man aber nicht einmal die Überführung der Produktionsmittel vom privatkapitalistischen in gesellschaftliches Eigentum befürwortet, dann ist man ein Bewahrer und Verteidiger des Kapitalismus, man negiert schließlich das strategische Ziel und die historische Mission des Marxismus, die sozialistische Gesellschaft.

Eine zentrale Feststellung des frühen Marx ist die elfte These über Feuerbach: Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert – es kommt aber darauf an, sie zu verändern. Ohne diesen Punkt wäre der Marxismus wertlos, zahnlos und kein Wissenschaftlicher Sozialismus. Auf dem Wege des Klassenkampfes und dessen Höhepunktes, der sozialen Revolution der Arbeiterklasse, ist der Kapitalismus zu stürzen und der Sozialismus aufzubauen. Hierfür braucht es wiederum die Herrschaft der organisierten Arbeiterklasse und die Aufhebung des kapitalistischen Privateigentums. Wer davon nicht sprechen will, sollte zum Marxismus schweigen.

„Il n’est pas marxiste…“

Besonders „clevere“ Babler-Apologeten kramten nach dem unglücklichen ZiB-2-Auftritt ein Marx-Zitat heraus, das (bewusst verkürzt) lautet: „Ich bin kein Marxist.“ Es findet sich freilich nicht in Marxens Schriften, so sehr man die MEW-Bände auch durchforsten möchte – es existiert nur aus zweiter Hand, nämlich bei Engels, der darüber berichtet. Wie dem auch sei – wer damit den im Sitzen umfallenden Babler verteidigen will, sollte sich vorher über den Kontext der Aussage informieren, denn der ist entscheidend. Marx wendet sich damit keineswegs gegen seinen eigenen Wissenschaftlichen Sozialismus, sondern gegen diejenigen, die ihn verfälschen. Die eigentliche Aussage lautet (in Bezug auf französische Sozialisten, die sich zu Unrecht als Marxisten wähnten): Wenn dieser Unsinn wirklich Marxismus sein sollte, dann wäre ich selbst keiner. – Und so trifft das Zitat denn doch auch auf Babler zu. Denn Marx würde zweifellos sagen: Wenn jemand wie Babler Marxist sein soll, dann bin ich keiner.

Natürlich ist Andreas Babler kein Marxist. Sozialdemokratie und Marxismus schließen einander aus. Wer trotzdem glaubt, in der SPÖ Marxist sein zu können, täuscht sich. Es ist Teil des Marxismus, in einer marxistischen Kampforganisation der Arbeiterklasse zu wirken. Wer in der SPÖ aktiv ist, mag sich subjektiv noch so sehr als Marxist fühlen – objektiv ist er es nicht und faktisch sogar ein Gegner des Marxismus, der auf der falschen Seite der Barrikade steht. Babler hat seine Barrikade gewählt – es ist die der sozialdemokratischen Kapitalismusverwaltung, des Antisozialismus und des Antimarxismus. Babler will SPÖ-Vorsitzender werden, und dann ist es nur recht und billig, mit dem Marxismus nichts am Hut zu haben. Es ist sogar völlig unsinnig, Babler vorzuwerfen, dass er kein Marxist ist, denn er tut das, was er als Sozialdemokrat tun muss. Er ist bestimmt ein ehrlicher Sozialreformist und wäre vermutlich der richtige Vorsitzende für die SPÖ, um im bürgerlichen Parteienstreit Farbe zu gewinnen. Das passt schon, und es ist für alle Seiten gut und nützlich, wenn hier Klarheit herrscht.

Denn es ist auch wichtig, dass sich die Marxistinnen und Marxisten in den richtigen Organisationen sammeln und aktiv sind. In der Sozialdemokratie haben sie schon lange nichts mehr verloren. Inzwischen scheint selbiges auch für die KPÖ zu gelten, die den Weg der Sozialdemokratisierung beschreitet – auch hier wird der Marxismus immer rigoroser entsorgt. Das Erbe der Hainfelder Sozialdemokratie und der kommunistischen Bewegung in Österreich vertritt heute nur die Partei der Arbeit Österreichs, inklusive des vollständigen Wissenschaftlichen Sozialismus, des Marxismus und Leninismus.

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Quelle: Zeitung der Arbeit

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