Zwischen Perspektivlosigkeit und billige Arbeitskraft – Ausbildung im Kapitalismus

Übernommen von sdaj.org:

Vor wenigen Tagen wurde der Ausbildungsreport der DGB-Jugend veröffentlicht, für den zwischen September 2022 und Mai 2023 insgesamt 9.855 Auszubildende befragt wurden. Das Schwerpunktthema war in diesem Jahr die Digitalisierung. Aus dem Report geht deutlich hervor, dass Auszubildende für Unternehmen vor allem eins sind: Billige Arbeitskräfte. Niedrige Ausbildungsvergütung, Überstunden, eine schlechte Ausbildungsqualität und Perspektivlosigkeit aufgrund fehlender Übernahmegarantie sind nach wie vor wesentliches Merkmal der Ausbildung in Deutschland.

Es wird immer weniger ausgebildet

Geht es um das Thema Ausbildung ist das Klagen der Arbeitgeber über den Fachkräftemangel nicht weit weg. Tatsächlich haben 2,64 Millionen junge Menschen im Alter zwischen 20 und 34 Jahren keinen Berufsabschluss. Vergleicht man die aktuelle Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge mit der des Jahres 2009, ist hier ein Rückgang um 15,8 Prozent bzw. fast 90.000 Verträge festzustellen. Weniger als jeder 5. Betrieb bildet aus. Auch wenn im Jahr 2022 68.868 Ausbildungsstellen nicht besetzt werden konnten, ist es zugleich mehr als 60.000 jungen Menschen bzw. 11,3 Prozent aller Bewerber nicht gelungen, einen Ausbildungsvertrag abzuschließen. Dies liegt unter anderem daran, dass immer mehr Betriebe – um sich Kosten zu sparen – keine Hauptschüler und zum Teil nur Abiturienten einen Ausbildungsplatz anbieten. Auffällig viele Stellen bleiben in besonders prekären Bereichen mit schlechter Vergütung unbesetzt. Nicht vergessen werden dürfen dabei die rund 300 000 Jugendlichen, die jedes Jahr erst gar keinen Ausbildungsplatz bekommen. Gleichzeitig klagen Arbeitgeber lautstark über den Fachkräftemangel in bestimmten Branchen – schaut man sich die Ausbildungsbedingungen und den Mangel an Ausbildungsplätzen an, ist dies nicht weiter verwunderlich.

Qualitativ gute Ausbildung? Fehlanzeige!

Mehr als jeder zehnte Azubi gibt an, immer oder häufig ausbildungsfremde Tätigkeiten übernehmen zu müssen, obwohl das gesetzlich verboten ist. Diese bringen zur Erreichung des Ausbildungsziels nichts und nutzen die Lehrlinge als billige Arbeitskräfte aus. Jeder dritte Azubi wird nicht nach Ausbildungsplan ausgebildet, in dem Ablauf und Inhalte der Ausbildung festgeschrieben sein sollen, sodass ihnen keine Möglichkeit zur Verfügung steht zu prüfen, ob ihnen die relevanten Inhalte vermittelt werden. Bei jedem zehnten Azubi ist der Ausbilder zudem selten oder nie präsent, es fehlt also eine klare Ansprech- und Lehrperson. Hier darf man sich nicht wundern, dass nur knapp die Hälfte der befragten Azubis die fachliche Qualität des Berufsschulunterrichts als gut oder sehr gut bewertet, hierbei handelt es sich um einen historischen Tiefstwert.

Armutsfalle Ausbildung

Seit 2020 gibt es eine gesetzliche Mindestvergütung, für die sich die Gewerkschaften lang eingesetzt haben. Diese richtet sich bei nicht tarifgebundenen Betrieben nach zwei Haltelinien: Einerseits muss die Ausbildungsvergütung mindestens 80 Prozent der branchenüblichen tariflichen Ausbildungsvergütung betragen. Andererseits muss sich die Vergütung jährlich erhöhen. Bei nicht-tarifgebundenen Betrieben darf die in der Branche und Region geltende tarifliche Ausbildungsvergütung um maximal 20 Prozent unterschritten werden. Über alle Berufe und Ausbildungsjahre hinweg haben die befragten Auszubildenden im Schnitt eine Ausbildungsvergütung in Höhe von 929 Euro brutto pro Monat erhalten. Das ist deutlich weniger als die durchschnittliche tariflich geregelte Ausbildungsvergütung und liegt weit unter der Armutsgrenze. Während Azubis also oft für den Betriebsablauf unerlässliche Aufgaben übernehmen und Vollzeit arbeiten, sind sie vor Armut nicht geschützt, verschärft wird diese Situation durch steigende Mieten und Preise.

Ausgebildet und überlastet

Nach dem Arbeitstag sorgenfrei in den erholsamen Feierabend starten? Für viele Azubis entspricht das nicht der Realität. Etwa ein Drittel der Befragten leistet regelmäßig Überstunden. Der Großteil von ihnen leistet bis zu fünf Überstunden pro Woche, jeder Zehnte sogar bis zu zehn Überstunden. Es gibt sogar Azubis (0,7 Prozent), die regelmäßig mehr als 20 Überstunden pro Woche leisten müssen. 9,5 Prozent der Befragten erhalten für die geleistete Mehrarbeit keinen Ausgleich – weder durch Freizeit, noch durch Geld. Da darf man sich nicht wundern, wenn viele Azubis angeben, Probleme zu haben, sich in ihrer knappen Freizeit vom Berufsalltag zu erholen. So gibt ein Viertel der Befragten an, immer oder häufig Probleme damit zu haben, sich in der Freizeit zu erholen. Nicht nur das Lernen für die Berufsschule kommt zu kurz, auch die Zeit für Familie, Freunde, Hobbys und Engagement ist sehr knapp bemessen.

Schwerpunktthema Digitalisierung

Das Schwerpunktthema des diesjährigen Ausbildungsreports ist Digitalisierung. 40 Prozent der Befragten erhalten selten oder nie Geräte wie Laptops oder Headsets für die digitale Ausbildung, etwa genauso viele bezeichnen die digitale Ausstattung der Berufsschule nur als ausreichend oder mangelhaft. Während die Unternehmen und auch das Lehrpersonal an den Berufsschulen sich für die Digitalisierung gut vorbereitet sehen , sehen die Azubis das offenbar anders. Hier gilt es, genauer hinzuschauen. Die Rückständigkeit vieler Unternehmen und Berufsschulen ist zu kritisieren. Dennoch darf nicht der Fehler gemacht werden, Digitalisierung als Allheilmittel für Missstände in der Ausbildung zu betrachten. Wird sie nicht im Interesse der Beschäftigten umgesetzt, und beispielsweise für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und die Entlastung von eintönigen oder körperlich schweren Arbeiten genutzt, kann sie vom Arbeitgeber als Türöffner hin zu mehr Flexibilisierung und Vereinzelung sowie zum Abbau von Arbeits- und Ausbildungsplätzen genutzt werden.

Nach der Ausbildung wartet Perspektivlosigkeit

Ist die Ausbildung einmal abgeschlossen, bedeutet das für viele Ausgelernte eher Perspektivlosigkeit als Aussicht auf eine sichere Lebensplanung: Selbst im letzten Ausbildungsjahr wissen mehr als vier von zehn Azubis nicht, ob sie übernommen werden. Für jeden vierten Azubi von denen, die übernommen werden, ist die Übernahme auf ein Jahr beschränkt. Jungen Menschen wird so die Möglichkeit einer langfristigen finanziellen, aber auch Lebens- und Familienplanung genommen.

Gesetzliche Vorgaben durchsetzen – Interessensvertretungen stärken!

Der Ausbildungsreport belegt somit eine Reihe von Verstößen gegen das Berufsbildungsgesetz, wie das regelmäßige Heranziehen minderjähriger Azubis für Überstunden, Überstunden ohne Ausgleich und das Ausbilden von Azubis ohne Ausbildungsrahmenplan und ausbildungsfremde Tätigkeiten. Gesetz heißt also nicht gleich umgesetzt. Kontrollieren und durchsetzen müssen wir das gemeinsam mit allen Kolleginnen und Kollegen. Es braucht starke gewerkschaftliche Strukturen und Interessensvertretungen im Betrieb allein damit die gesetzlich festgeschriebenen Vorgaben eingehalten werden! Jemand anderes wird das nicht für uns machen. Auch auf den Staat, der diese Gesetze verabschiedet, können wir uns hierbei nicht verlassen, er schaut untätig, zu wenn diese jeden Tag unterlaufen werden. Staatliche Kontrollen sind eine absolute Seltenheit. Bei der reinen Durchsetzung bestehender Regelungen dürfen wir aber nicht stehen bleiben

Als Azubis gemeinsam kämpfen – gegen die Interessen der Unternehmen!

Im Kapitalismus sind wir gezwungen, unsere Arbeitskraft gegen Lohn zu verkaufen, um unser Leben zu finanzieren. Unser zukünftiges Leben hängt also maßgeblich von unserer Ausbildung ab. Wer keinen Abschluss vorweisen kann, ist in besonderem Maße von ständiger Unsicherheit bedroht. In diesem System dienen Ausbildungen einzig der ökonomischen Verwertbarkeit. Somit steht das Profitinteresse der Unternehmen dem Interesse der Azubis an einer umfänglichen und qualitativ guten Ausbildung, einem Azubigehalt, das zum Leben reicht und einer unbefristeten Übernahme entgegen.

Als SDAJ waren wir von Anfang an Teil des Kampfes um bessere Ausbildung. Angesichts des katastrophalen Zustands der Ausbildung fordern wir: Azubis dürfen nicht länger als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden! Wir brauchen ein Ausbildungssystem, das uns umfassende berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten, Allgemeinbildung und politisches Wissen vermittelt. In der Ausbildung wollen wir dazu befähigt werden, gesellschaftliche Zusammenhänge zu verstehen – unabhängig davon, ob wir Anlagenmechaniker, Ingenieurin oder Friseurin werden. Was wir brauchen, ist ein Recht auf eine betriebliche Ausbildung, die uns in unseren Fähigkeiten und Interessen fördert, die uns nicht an den Rand der Erschöpfung bringt und von der wir gut leben können. Für die bessere Planbarkeit und Sicherheit unserer Zukunft brauchen wir zudem eine Garantie auf unbefristete Übernahme. In einem Gesellschaftssystem, welches auf der Ausbeutung unserer Arbeitskraft beruht, wird uns so eine Ausbildung nicht geschenkt werden. Dafür kämpft die SDAJ zusammen mit den Gewerkschaftsjugenden, den Azubis im Betrieb und im Rahmen von Tarifrunden.

Wir fordern:

  • Ein Recht auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz für jeden Jugendlichen!
  • Ein Ausbildungsgesetz, das jedem Jugendlichen eine qualifizierte betriebliche Ausbildung garantiert! – Konsequente Durchsetzung des Verbotes von ausbildungsfremden Tätigkeiten!
  • Mehr Zeit für Praxisanleitung durch mehr qualifizierte Ausbilder!
  • Verbot betrieblicher Arbeit an allen Berufsschultagen!
  • Mindestvergütung von 1500 Euro netto im Monat!
  • Unbefristete Übernahme im erlernten Beruf!
  • Mitbestimmung von Jugend- und Auszubildendenvertretung, Gewerkschaften und SchülerInnenvertretung über die Ausbildungs- und Lehrinhalte!

Quelle: SDAJ – Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend