Ein Armutszeugnis

ZLV Zeitung vum Letzeburger Vollek
Zeitung vum Letzeburger Vollek

Wohl selten ist der Begriff Armutszeugnis so zutreffend wie in der gegenwärtigen Regierungspolitik und in der öffentlichen Debatte um das unselige Bettelverbot in unseren Gemeinden. Ist es schon schlimm genug, daß unter eklatanter Mißachtung der Verfassung und geltender Gesetze überhaupt eine Verordnung über ein Verbot des Bettelns erlassen wurde, belegen der Umgang damit und die Äußerungen der Regierung – vom Premier bis zu den Ministern für Inneres und Justiz – die völlige Ahnungs- und Ratlosigkeit der zuständigen Politiker. Nachdem nun offensichtlich feststeht, daß die Verordnung zum Thema Betteln erstens rechtswidrig und zweitens praktisch kaum umsetzbar ist, soll das Justizministerium einen neuen Gesetzentwurf dazu zusammenbasteln.

Dabei ist es doch offensichtlich, daß sowohl die Verordnung als auch die kreuz und quer geführten Debatten völlig an der Realität vorbeigehen. Ja, es gibt organisierte Bettelei. Das ist jedoch – zumindest nach bürgerlich-demokratischen Vorstellungen – weit entfernt von organisierter Kriminalität. Die von bestimmten Leuten zusammengewürfelten Gruppen von Bettlern, die am Ende des Tages ihre Ausbeute an ihren »Arbeitgeber« abliefern müssen, sind ein Produkt dieser kapitalistischen Gesellschaft.

Diese »Arbeitgeber« haben die Bettelei als Geschäftsfeld für sich entdeckt, und sie betreiben es, weil ihnen das Elend dazu die Möglichkeit bietet – ebenso wie die Menschenschmuggler, die Armutsflüchtlinge aus Afrika gegen Bezahlung nach Europa schmuggeln. Und ebenso erfolglos wie die Europäische Union gegen kriminelle Fluchthelfer vorzugehen gedenkt, wird das Vorgehen gegen organisierte Bettler ausgehen. In beiden Fällen werden nicht die Ursachen bekämpft, sondern lediglich die Erscheinungsformen. Und in beiden Fällen sieht man gelassen zu, wie durch falsches Handeln die Ursachen sowohl für die Flucht als auch für die Bettelei weiter anwachsen.

Obwohl man – allerdings mit immer weniger Erfolg – die Armut im »reichen« Luxemburg zu verdecken sucht, läßt sich schon längst nicht mehr verleugnen, daß sie nicht nur existiert, sondern rapide anwächst. UNICEF hat erst kürzlich festgestellt, daß die Kinderarmut in Luxemburg deutlich zugenommen hat. Die gewiß nicht Kommunismus-verdächtige UNO-Organisation stellte fest, daß hierzulande die Armutsrisikoquote bei Kindern innerhalb von zehn Jahren auf 24,5 Prozent angestiegen ist.

Es ist aber auch eine Tatsache, daß längst nicht alle Bettler hierzulande organisierten Gruppen angehören. Oft genug kann man bemerken, daß man zum Beispiel abends im Zentrum von Esch in durchaus höflicher Form angesprochen und gefragt wird, ob man einen kleinen Obolus übrig hat für ein bescheidenes Abendessen. Das ist allerdings eine Ausnahme, denn die meisten der wirklich Armen in diesem Land schämen sich für ihre Armut so sehr, daß sie weder Passanten noch die zuständigen Ämter um Almosen bitten.

Statt die Armen, die Obdachlosen, die Bettler zu bekämpfen, muß zunächst die Armut bekämpft werden. Sinnvoller als all das Geplänkel um das aktuelle Bettelverbot wäre es, Gesetze zu entwerfen und zu beschließen, die Armut und Obdachlosigkeit verbieten. Das wäre sogar in Übereinstimmung mit den von der UNO anerkannten Menschenrechten. Und das wären echte Werte, die zu verteidigen sich lohnt.

Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek