Manifest der linken Unabhängigkeitsbewegung zum katalanischen Nationalfeiertag 2015

Estelada der katalanischen UnabhängigkeitsbewegungAm 11. September begeht Katalonien seinen Nationalfeiertag. Auch in diesem Jahr soll in Barcelona eine Großdemonstration für die Unabhängigkeit von Spanien stattfinden, zu der mehr als eine Million Menschen erwartet werden. Am 27. September finden zudem Wahlen zum katalanischen Parlament statt, die von einem Teil der antretenden Parteien als Plebiszit über eine Abtrennung vom Königreich interpretiert werden. Die linke Unabhängigkeitsbewegung hat aus diesem Anlass eine Erklärung veröffentlicht, die wir nachstehend in eigener Übersetzung dokumentieren.

In diesen Zeiten, in denen der Wille zur Veränderung an die Mauer des Regimes und des Systems stößt, stehen wir in den Katalanischen Ländern vor entscheidenden Marken auf dem Weg zum Aufbau einer unabhängigen, sozialistischen und feministischen Republik. Sie versprechen uns eine schnelle und legalistische Reise in die Unabhängigkeit … solange die Gesetzlichkeit sie erlaubt, und wir keine der Privilegien antasten und die Augen vor der allgemeinen Verarmung der Volksschichten verschließen. Andere versprechen uns alle möglichen Veränderungen … aber ohne die tragenden Säulen des Regimes anzutasten: Monarchie, Einheit Spaniens und die Europäische Union.

In Katalonien hat Convergència (die liberale Regierungspartei Demokratische Konvergenz Kataloniens; Anm. d. Übers.) im Gegenzug zu dem Versprechen, ein Teil der Katalanischen Länder in die Unabhängigkeit zu führen,  einem Sektor der Unabhängigkeitsbewegung ihre Führung übergestülpt. Wie sie jedoch bereits mit dem 9. November (die vom spanischen Staat verhinderte Volksabstimmung über eine Unabhängigkeit im vergangenen Jahr; Anm. d. Übers.) gezeigt haben, sind sie nicht bereit, der verfassungsmäßigen Ordnung den Gehorsam zu verweigern. Wie wir schon gesagt haben und wie wir wiederholen: Der gesamte Fahrplan zur Unabhängigkeit ist totes Papier ohne den Ungehorsam. Ihr ganzes neues politisches Programm »mit sozialer Sensibilität« steht ihrer Politik der Umsetzung der Kürzungen, der Erfüllung der ökonomischen Diktate der Troika und ihrer Unterstützung für TTIP entgegen. Eine Politik, mit der sie eine prekäre Lage der Mehrheit der Volksschichten geschaffen haben, kann keine Politik sein, um die gesellschaftliche Mehrheit zu vereinen – was aber zur Verteidigung der Unabhängigkeit notwendig ist.

Auf der anderen Seite haben die Versuche einer Allianz zwischen Podemos und Teilen der autonomistischen Linken (ICV, Compromís) zu einer uns allen wohlbekannten Operation geführt. Die Versprechungen sozialer Veränderungen tasten die »unantastbaren Themen« des Systems nicht an. Podemos stellt die Monarchie nicht in Frage, lehnt die Zahlung der Schulden nicht ab, erkennt das Recht auf Selbstbestimmung als über jedem Gesetz stehenden demokratischem Prinzip nicht an, stellt den Verbleib in der Europäischen Union nicht in Frage. Welche Veränderungen wollen sie vornehmen, ohne all das in Frage zu stellen? Keine. Es handelt sich um die Neuauflage des alten progressiven spanischen Nationalismus, wie ihn früher Felipe González und Alfonso Guerra vertreten haben. Mit einem bedeutenden Unterschied: Ihr heutiges politisches Programm ist erheblich moderater als das der PSOE von 1979.

Vor diesem Hintergrund muss die Volkseinheit weiter ihr Programm und ihre Organisation entwickeln. Um es klar und deutlich zu sagen: die Unabhängigkeit ist möglich, ebenso wie es möglich ist, alles zu verändern. Und um dies möglich zu machen, um dem Bruch näherzukommen, ist es wichtig, klar zu sehen, was die Veränderungen möglich macht und was lediglich Schminke und Propaganda ist. Wir in den Katalanischen Ländern sehen es klar:

Mit dem Autonomismus gibt es keine Zukunft, er ist eine Sackgasse.
Ohne Ungehorsam werden wir unser Recht auf Selbstbestimmung nicht ausüben können.
Ohne Unabhängigkeit kann es keine soziale Transformation geben.
Ohne Sozialismus wird die volle Souveränität nicht möglich sein.
Ohne Feminismus wird es nicht möglich sein, die Ungleichheit zu überwinden.
Unsere nationale Freiheit wird nicht vollständig sein ohne den Aufbau der Katalanischen Länder.

Bedenken wir all das und setzen wir auf der Straße, auf der Arbeit und in den Institutionen den Aufbau der Alternative fort, die die gesellschaftliche Mehrheit der Volksschichten der Katalanischen Länder vereint.

Vorwärts zur Unabhängigkeit, zum Sozialismus und zum Feminismus!

Katalanische Länder, 11. September 2015

Quelle: Llibertat.cat / Übersetzung: RedGlobe