Schleichender Faschismus

Kundgebung gegen den Genozid im Mittelmeer am heutigen Freitag in Barcelona. Foto: Stop Mare MortumDie überbordenden Debatten über »Flüchtlingsströme«, die »Europa überfluten«, nehmen immer mehr unappetitliche Formen an. Wohlmeinende Gutmenschen überbieten sich gegenseitig mit Anregungen an die Europäische Union, sie möge doch ihre Flüchtlingspolitik überdenken, sich auf die Werte der solidarischen Gemeinschaft besinnen, Humanismus walten lassen. So richtig diese Meinungen auf den ersten Blick aussehen mögen, gehen sie doch meilenweit an der Realität vorbei. Denn die Europäische Union und ihre Vorgängerorganisationen wurden nicht im Geiste des Humanismus oder der solidarischen Gemeinschaft der Menschen in den Mitgliedsländern und darüber hinaus geschaffen. Das Ziel dieses imperialistischen Bündnisses besteht darin, den Interessen der Großbanken und Großkonzerne zu dienen, das gesellschaftliche System des Kapitalismus zu wahren und zu pflegen.

Solange es der Sache dient, verbünden sich die herrschenden Kreise der imperialistischen Staaten. Sind jedoch partikulare Interessen des Kapitals in einem Land gefährdet, dann beginnt das Hauen und Stechen wie in alten Zeiten. Bekundungen von Freundschaften sind nichts als Lippenbekenntnisse. Lediglich die Furcht vor dem eigenen Untergang hat verhindert, daß es zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen den EU-Staaten gekommen ist.

Allerdings rückt der Krieg immer näher an die EU heran. Schon die Balkankriege in den 90er Jahren, in die führende EU- und NATO-Länder mit dem Ziel der Zerschlagung der jugoslawischen Föderation aktiv eingriffen, haben das Idyll von einem »Europa des Friedens« in den Grundfesten erschüttert. Die Erweiterung der NATO und der EU in Richtung Osten, bis an die Grenzen Rußlands, haben dieses Bild vollends ad absurdum geführt.

Selbst wenn einige EU-Politiker einsehen wollten, daß ihre Kriege in Asien, Afrika und vor allem im Nahen Osten die wesentliche Ursache für die Massenflucht der Menschen in Richtung Europa sind – ändern könnten sie es nicht. Denn das würde bedeuten, die Gründungsidee der EU in Frage zu stellen.

Im Zuge dieser Politik feiert die Ideologie des Faschismus wieder fröhliche Urständ. Fremdenfeindlichkeit und Rassismus greifen immer mehr um sich. Besonders bedrückend ist die Situation in der Ukraine. Denn dort führt eine Regierung, die in der Folge eines vom Westen unterstützten Putsches an die politische Macht kam – eines maßgeblich von faschistischen Elementen angeführten Umsturzes – Krieg gegen die eigene Bevölkerung im Osten des Landes. Dieser Krieg richtet sich gegen Menschen, die mit dem bestehenden Regime nicht einverstanden sind. Inzwischen sind bereits mehr als zwei Millionen Ukrainer als Flüchtlinge im Ausland angekommen.

Gleichzeitig forciert das offizielle Kiew die Hetze gegen Rußland. Es dürfte wohl außer der Ukraine kein anderes Land in der Welt geben, das per Gesetz, in seiner offiziellen Militärdoktrin, Rußland als »Gegner und Aggressor« definiert. Hinzu kommen Repressionen gegen Kommunisten und weitere Andersdenkende. Unabhängig von Äußerungen einzelner Akteure auf der politischen Bühne, und unabhängig von der Mitgliedschaft dieser Leute in politischen Parteien, nähert sich das ukrainische Regime immer stärker der Definition des Faschismus von Georgi Dimitroff aus dem Jahr 1935: »Der Faschismus an der Macht ist die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Kräfte des Finanzkapitals.« Die demonstrative Unterstützung dieses Regimes durch EU und NATO sollte uns alle zu gründlichem Nachdenken veranlassen.

Uli Brockmeyer, Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek