Der Humanismus ist in Gefahr

Bereits in den Wochen vor Weihnachten begann sich auch hierzulande eine Mischung von Verschwörungstheoretikern und Rechtsradikalen, dem deutschen Vorbild folgend, zu vereinen und in der Öffentlichkeit aufzumarschieren. Nachdem Anfang Januar eine deutsche QAnon-Gruppe in der Hauptstadt unbehelligt in Maskerade ihre abstoßenden Thesen zur Schau tragen konnte, kamen am vergangenen Samstag rund 200 Menschen zusammen, die sich an keine hygienischen Regeln hielten und von den etwa 15 Polizisten weitgehend in Ruhe gelassen wurden.

Da drängen sich unweigerlich Bilder von ähnlichen, wenn auch größeren Ereignissen im Ausland auf, wo die Polizei ebenfalls, trotz der Klarheit über die Lage, eher spärlich präsent war. Es mag Zufall sein, doch hat es wohl System. Für die Passivität der Beamten bedankten sich die Akteure dann auch, und geleakte Mitteilungen aus der Szene deuteten im Nachgang an, daß man sich in Zukunft ohne große Ankündigung spontan auf öffentlichen Plätzen versammeln werde, um weiterhin ungestört gegen die Werte der Gesellschaft demonstrieren zu können.

QAnon, in der postfaktischen Welt eine Mischung aus

Verschwörungstheoretikern, Antisemiten und Faschisten, wird von Experten dies- und jenseits des Atlantik als Bedrohung für die bürgerliche Demokratie eingestuft und in Teilen bereits aus sozialen Netzwerken verbannt. Sie waren auf den Stufen des Reichstags und des Capitols an vorderster Front. Dennoch finden die abstrusen Thesen insbesondere unter den »Querdenkern« in ganz Europa Zulauf. Da bleibt auch Luxemburg keine Insel. In sozialen Netzwerken werden nicht nur Corona-Tote und Infektionsgefahr negiert und Lügen über die Impfstoffe reproduziert, es werden auch Thesen der Organisation zu Kindesentführungen und einen angeblichen weltweiten Pädophilenring unter Regierungspolitikern verbreitet.

Daß es in dieser Krise keine einfachen Antworten gibt und viele Menschen verunsichert sind, ist nachvollziehbar. Viele verstehen nicht, daß die Wissenschaft ihre Theorien und Empfehlungen anpaßt. Sie verstehen dies als Versagen oder Lügen. Dabei ist Wissenschaft kein Buch, in dem die Antworten auf die Fragen der Welt stehen, sondern eine Methode. Erkenntnisse werden gewonnen und Theorien im Laufe der Zeit angepaßt. Sonst wäre es keine Wissenschaft, sondern die Kirche.

Ein Denkfehler, der zeigt, daß es den »Querdenkern« nur um Egoismen und nicht um die Gesellschaft geht, ist auch die Behauptung, daß eine symptomlose Infektion keine Krankheit und daher Gesundheit bedeutet. Daß ein infizierter Mensch andere Menschen anstecken kann und diese dann schwer bis tödlich erkranken können, kommt ihnen nicht in den Sinn. Mit den Spätfolgen von Corona-Infektionen werden die kaputt gesparten Gesundheitssysteme noch lange beschäftigt sein.

Eine Pandemie bringt auch schwere Belastungen für die Betriebe verschiedenster Bereiche mit sich. Die Solidarität mit den Gaststättenbetrieben ist zu Recht groß. Sie wollen in Teilen am kommenden Samstag auf die Straße gehen, klar gekennzeichnet, um sich von den Verschwörern zu distanzieren, die in den sozialen Medien bereits begonnen haben, diesen Protest zu kapern.

Eine Medizinerin aus dem Süden des Landes sagte am Mittwoch im Gespräch: »Jeden Tag sterben Menschen an diesem Virus, und diese Leute nehmen sich das Recht heraus, zu entscheiden, daß dies normal sei. Der Humanismus ist in Gefahr«.

Es gibt wissenschaftlich fundierten Informationen über Impfstoffe und Krankheiten frei zugänglich im Netz und bei den medizinischen Institutionen. Es gibt sie ebenso wenig, wie Alternativen dazu bei RT, Telegram oder auf YouTube.

Christoph Kühnemund
Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek – Unser Leitartikel: <br/>Der Humanismus ist in Gefahr