»One Love«-Verlogenheit

ZLV Zeitung vum Letzeburger Vollek
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Seit vergangenem Sonntag läuft nun die 22. Fußball-Weltmeisterschaft, deren offizieller Produktname seit einigen Jahren »FIFA World Cup« lautet. Niemand hätte vor der Vergabe für möglich gehalten, daß ein kleiner Wüstenstaat ein solches Turnier ausrichten könnte. Allerdings hatte auch niemand damit gerechnet, daß die Staaten der EU sich kurz vor dem Winter 2022 derart energietechnisch selbst verstümmeln würden, daß sie auf fossile Energie aus eben jenem Land angewiesen sein würden.

Alle berechtigte Kritik an den Zuständen um Menschenrechte und Arbeitsbedingungen für Migranten wurde so über Nacht zu einem hypokritischen Tiger, der zwar laut brüllt auf der Jagd nach Empörung, jedoch seine Zähne im Wasserglas vergessen hat. Katar ist nicht das erste Land, das mit einem großen internationalen Turnier Sportswashing betreibt und es wird nicht das letzte sein. Die Verwicklung des Landes in den europäischen Fußball und in die Politik sind hinlänglich diskutiert worden. Je näher das Turnier rückte, desto kritischer wurde die Berichterstattung, doch wurde auch das Verhalten des 2016 mit luxemburgischer Unterstützung gewählten FIFA-Bosses Gianni Infantino, der zwischenzeitlich nach Katar umsiedelte, immer aggressiver in seiner Verteidigung des Gastgebers.

Die Nationalverbände mehrerer europäischer Topfußballnationen, darunter England und Deutschland, hatten sich dazu entschieden, ein Zeichen zu setzen, indem ihre Kapitäne mit einer Armbinde auflaufen sollten, die zwar an Regenbogenfarben erinnert, diese jedoch bewußt vermeidet. Darauf steht der Slogan »One Love« als Hinweis auf Diversität. Nachdem die FIFA zunächst gar nicht reagierte, kamen nun Androhungen sportlicher Konsequenzen, sollte diese Armbinde zum Einsatz kommen. Als erstes Team verzichtete daraufhin England, während Deutschland auf dem Fuße folgte.

Die Verantwortlichen des Deutschen Fußball-Bundes sehen sich erpreßt und seien nicht eingeknickt, hieß es am Dienstag. Mit der Handelskette REWE hat nun zumindest ein erster Großsponsor, der dies anders sieht, seine Zusammenarbeit mit dem deutschen Verband aufgekündigt. Eier, die beim DFB offensichtlich Mangelware sind, gibt es dort übrigens günstig zu kaufen. Eier hätte der Verband bewiesen, wäre er zu diesem Turnier nicht erst angereist. Doch da sind wir wieder beim Zwiespalt: Wie gegen ein Turnier und ein Land demonstrieren, dessen Energie man mit Handkuß nimmt, damit die europäische Bevölkerung im Winter nicht im Kalten sitzen muß?

So wichtig der Kampf für Gleichberechtigung der Geschlechter, für Arbeiterrechte und für LGBTIQ+-Rechte ist, so fragwürdig wird der immer inflationärer und zusammenhangloser verwendete Einsatz der Regenbogenfarben. WM-Besucher twittern aus Katar, ihnen sei der Zutritt zum Stadion in Regenbogensocken- oder T-Shirts verwehrt worden. Der normale Fußballfan in Europa geht üblicherweise nicht in Regenbogenfarben zu den Spielen seiner Mannschaft, sondern in den Farben seines Klubs. Warum also jetzt und ausgerechnet dort? Warum nicht weg bleiben von der WM, anstatt sein Geld dort hin zu tragen und zu versuchen, Social media-wirksam Pseudozeichen zu setzen?

Die Golfstaaten mit ihrem dekadenten Reichtum aus fossiler Energie werden auf Jahre hinaus den internationalen Sportkalender diktieren und die EU-Länder werden in seiner energetischen Selbstschwächung von ihnen abhängig sein, was jede moralische Glaubwürdigkeit völlig durchsiebt. Da wird es die Verantwortlichen in Doha während der Falkenjagd wenig sorgen, ob jemand ein buntes Fähnchen schwenkt.

Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek