Für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, gegen Aufrüstung und Sozialabbau
Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:
Songül Demir
In ihren Kämpfen um eine spürbare Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen legten in den letzten Wochen über 150.000 Beschäftigte im Öffentlichen Dienst ihre Arbeit nieder. In Zeiten, in der die Preise für Mieten, Lebensmittel etc. höher steigen als die Löhne und Gehälter, lagen die Erwartungen der Kolleginnen und Kollegen in dieser Tarifrunde besonders in der Durchsetzung ihrer Forderung nach mehr Geld. Besonders in Bereichen, in der harte Arbeit auf wenig Gehalt und Lohn trifft, sollte vor allem die soziale Komponente – die Mindestforderung von 350 Euro – für eine Entlastung sorgen. Dies betrifft auch ein anderes Kernproblem: Überlastung als Ergebnis von Personalmangel und Arbeitsverdichtung. Über 500.000 Stellen sind im Öffentlichen Dienst nicht besetzt. Überall dort, wo Personal fehlt, arbeiten die Beschäftigten bis zum Anschlag, nicht selten bis zur völligen Erschöpfung. Eine aktuelle Studie zeigt auf, dass 85 % der Beschäftigten in den Kitas, krank zu arbeiten gehen. Ähnlich das Bild in der Pflege, in den Stadtverwaltungen oder in der Reinigung in den städtischen Krankenhäusern.
So war es dann auch konsequent, dass die Themen zu Arbeitszeit, Urlaub, Geld und bessere Bedingungen in der Phase der Forderungsdiskussion für die Beschäftigten einen hohen Stellenwert bildeten. Über zwei Drittel der 150.000 Beschäftigten stimmten für eine Arbeitszeitverkürzung, mehr freie Zeit (Urlaub), Verbesserungen für erschwerte Tätigkeiten und für eine soziale Komponente bei der Geldforderung. Die Zustimmung war dabei verknüpft mit der Frage der Kampfbereitschaft, die wiederum mit hohen Ergebniswerten in der bundesweiten Befragung belegt wurde. Bemerkenswert dabei ist, dass in den betrieblichen Diskussionen – besonders bei den Kollegen in den Krankenhäusern und Kliniken – die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung sich mehr aufdrängt und die Bereitschaft, sich dafür einzusetzen, steigert.
Zumindest gibt dafür in den Betrieben und Dienststellen ein beachtliches Interesse und Bereitschaft, sich – auch über die Tarifrunden hinaus – damit auseinanderzusetzen und sich dafür einzusetzen. Zumindest beschäftigt sie das Thema um Arbeitszeitverkürzung, und das nicht nur in der Tarifrunde. Denn die von den Arbeitgeberverbänden geforderte und politische aufgegriffene Forderung nach Arbeitszeitverlängerung verdeutlicht, dass der Kampf um die Verkürzung der Arbeitszeit politisch bedeutsam bleiben wird, nicht nur aber vor allem für die Gewerkschaften. Und – so die grundsätzlichen Diskussionen vor Ort in den Streikleitung- und Streikversammlungen – ordnen die Kolleginnen und Kollegen ihre Bedingungen und Forderungen in die politischen Entwicklungen ein. Das passiert vor allem dort, in der fortschrittliche Gewerkschafter mit einer politischen Haltung und Praxis sich aktiv in die Diskussionen und Mobilisierung eingebracht haben. Sie prangern an, dass die Grundversorgung der Gewinnmaximierung bspw. durch Privatisierung und der zunehmenden Aufrüstung untergeordnet wird.
Nun liegt seit Anfang April eine Tarifeinigung vor, die in vielen Teilen an den Erwartungen und Forderungen der Beschäftigten vorbeigeht. „Ein schwieriger Abschluss in schwierigen Zeiten“, „es gibt kein Grund zum Feiern,“ so oder ähnlich wird die Einigung bislang von der ver.di Spitze eingeordnet, über die die Mitglieder bis zum 9. Mai abstimmen werden. In einigen, wenigen Betrieben gibt es Positionen/Beschlüsse von betrieblichen Strukturen, Gruppen oder Mitgliederversammlungen, die sich mehrheitlich für die Ablehnung der Einigung aussprechen und damit gezielt sich an die Mitglieder der Bundestarifkommission wenden.
Ursprünglich forderte Verdi mehr Urlaub, kürzere Arbeitszeiten und bessere Bedingungen. Doch fast nichts davon ist im neuen Vertrag geblieben. Stattdessen gibt es nur einen freien Tag ab 2027 und die Möglichkeit, Weihnachtsgeld in freie Tage umzuwandeln – was bedeutet, dass die Beschäftigten ihr eigenes Geld dafür ausgeben müssen. Für Pflegekräfte gilt das nicht einmal, weil die Arbeitgeber sagen, es gibt zu wenig Personal. Politisch haben die Beschäftigten von der künftigen Regierung nichts zu erwarten. Der Mindestlohn von 15 Euro ist nicht garantiert, die tägliche Höchstarbeitszeit soll durch eine wöchentliche Obergrenze ersetzt und ausgeweitet werden. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen soll weiter eingeschränkt werden. Das öffnet Tür und Tor für Tarifflucht und damit für schlechtere Arbeitsbedingungen, noch weniger Schutz für die Beschäftigten und niedrigere Löhne und Gehälter. Kurz gesagt: In Zeiten von Kriegstüchtigkeit ist die politische Agenda der künftigen Regierung ein großer Angriff auf die Beschäftigten. Denn sie stärkt die Forderungen der Unternehmen nach flexibleren Arbeitszeiten und niedrigen Löhnen und Gehältern. Was das für die Gewerkschaften und für die Beschäftigten bedeutet, zeigte sich bei den Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst.
Statt sich davon vereinnahmen und zurückdrängen zu lassen, gilt es nicht nachzulassen und sich aktiver und entschlossener in die Kämpfe der Beschäftigten für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen, gegen Aufrüstung und Sozialabbau einzureihen.
Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben