5. Mai 2025
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AntifaYeni Hayat

Spahn: Mehr als nur eine ‘Normalisierung’ der AfD?

Übernommen von Yeni Hayat / Neues Leben:

Eren Gültekin

Ausgelöst wurde die Debatte durch ein Interview des ehemaligen Gesundheitsministers und stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion, Jens Spahn. Er schlug vor, mit der AfD bei organisatorischen Fragen im Bundestag so umzugehen wie mit anderen Oppositionsparteien – etwa der Linkspartei. In der Talkshow mit Markus Lanz führte er weiter aus, es gebe Spielregeln im Parlament – man könne diese ändern oder alle dazu zwingen, nach ihnen zu spielen. Er befürworte, dass auch die AfD sich diesen Regeln unterwerfe, um ihr nicht die Opferrolle zu ermöglichen.

Innerhalb der CDU/CSU stießen Spahns Äußerungen auf unterschiedliche Reaktionen. Unterstützung erhielt er unter anderem von Philipp Amthor (CDU MdB) und Matthias Middelberg (stellv. Fraktionschef der CDU). Amthor erklärte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass man „diese Truppe“ nicht durch parlamentsrechtliche Kniffe, sondern durch eine leidenschaftlich-inhaltliche Auseinandersetzung zurückdrängen sollte.

Kritik kam jedoch ebenfalls aus den eigenen Reihen. Daniel Günther (CDU, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein) und Dennis Radtke (CDU, Chef des Arbeitnehmerflügels und MdEP) positionierten sich klar dagegen. Radtke äußerte sich unmissverständlich: „Mir würde eher die Hand abfallen, bevor ich einem AfD-Politiker meine Stimme gebe.“ Diese gegensätzlichen Äußerungen zeigen deutlich die Spannungen innerhalb der CDU/CSU-Fraktion. Bundestagsvizepräsidentin Julia Klöckner (CDU) sah sich veranlasst, zu einem internen Austausch innerhalb der Fraktion zu raten – andernfalls würde sie selbst als Vermittlerin eingreifen.

Merz schweigt – die SPD spielt mit

Erstaunlich ist dabei, dass sich Parteichef Friedrich Merz bislang nicht konkret zu diesem parteiinternen Streit geäußert hat. Dabei hatte gerade er Anfang des Jahres für Empörung gesorgt, als erstmals ein CDU-Migrationsantrag mit Stimmen der AfD, der FDP und des BSW durchgesetzt wurde – ein Vorgehen, das in der Praxis Spahns Vorstellung vom Umgang mit der AfD bereits recht nahekommt.

Natürlich ist offensichtlich, dass Merz derzeit mit der SPD und der neuen Regierungsbildung beschäftigt ist und ihm eine öffentliche Einmischung aktuell kaum von Vorteil wäre. SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil kommentierte dazu: „Das ist übrigens auch ein Foulspiel gegen Friedrich Merz, wenn solche Debatten in der Union gestartet werden – kurz nachdem er mit uns einen Koalitionsvertrag ausgehandelt hat.“ Auch Klingbeil stellte klar: „Ich werde meine Hand im Bundestag nicht für einen AfD-Politiker heben.“

Auf der einen Seite steht damit der Hinweis, dass eine solche Debatte derzeit weder der CDU noch der SPD nützt – auf der anderen Seite aber auch die Tatsache, dass es für migrationspolitische Verschärfungen keine AfD braucht. Denn es scheint aktuell so, als hätte die SPD kein Problem damit, dass die CDU mithilfe von AfD-Stimmen einen Antrag durchsetzen konnte. Insofern offenbaren die Diskussionen um die AfD letztlich nur eines: Es steht eine Politik der weiteren Zuspitzung in der Migrationsfrage bevor – ganz ohne direkte Zusammenarbeit mit der AfD. Die sogenannte Brandmauer der SPD erscheint unter diesen Umständen rückblickend scheinheilig – sie galt offenbar nur für den Moment und ist heute schon überholt. Getreu dem Motto: Hauptsache Regierungsbeteiligung.

Spahn positioniert sich für mehr

Warum Jens Spahn sich ausgerechnet jetzt so weit aus dem Fenster lehnt, kann mehrere Gründe haben. Einerseits könnte es sein Ziel sein, sich innerhalb der Partei weiter nach oben zu katapultieren – für den Fall, dass Friedrich Merz scheitert und die Parteiführung neu besetzt werden muss. Spahn selbst äußerte sich in den letzten Monaten mehrfach offen zu seiner Bereitschaft, wieder ein Ministeramt zu übernehmen – es müsse nicht zwingend das Gesundheitsministerium sein. Auffällig war auch, dass er sich direkt wieder ins Gespräch brachte, nachdem Carsten Linnemann öffentlich eine Absage an seine Person als Wirtschaftsminister erteilte.

Vor Kurzem veröffentlichte Spahn zudem ein Video auf Instagram, in dem er sich ausschließlich zur zukünftigen Wirtschaftspolitik der Bundesregierung äußerte – für viele ein klarer Hinweis auf seine Ambitionen für das Wirtschaftsministerium. Innerhalb der CDU wird außerdem darüber spekuliert, dass Spahn möglicherweise auch den Fraktionsvorsitz übernehmen könnte. Alle Zeichen deuten darauf hin: Spahn will in der obersten Liga mitspielen – und wird es höchstwahrscheinlich auch tun.

Spahn der Transatlantiker

Als Absolvent des Young-Leaders-Programms und Mitglied der elitären Atlantik-Brücke verfolgt Spahn klar definierte Ziele. Als ausgewiesener Transatlantiker zeigt er sich seit Jahren loyal gegenüber diesem Netzwerk, das politische, wirtschaftliche, militärische und mediale Eliten vereint. Besonders enge Beziehungen pflegte er dabei zu Richard Grenell – einer Schlüsselfigur des der transatlantischen Beziehungen und beliebt bei konservativen bis rechten Kreisen. Grenell war unter Donald Trump US-Botschafter in Deutschland und wurde oft als „Trump’s man in Europe“ bezeichnet.

Auch bei Trumps Wahlkampfveranstaltungen 2024 war Grenell als Netzwerker präsent – ebenso wie Jens Spahn. Hinzu kommt: Bereits 2017 besuchte Spahn als Gesundheitsminister Steve Bannon im Weißen Haus. Bannon, Trumps damaliger Kampagnenberater, gilt als einflussreicher Akteur bei der Unterstützung rechter Parteien in Europa – über seine Organisation „The Movement“.

Die Normalisierung rückt näher

Die Frage liegt nahe, was diese transatlantischen Beziehungen mit Spahns Position zur AfD im Bundestag zu tun haben. Die Antwort: Eine in Deutschland etablierte Partei mit 10 Millionen Stimmen wie die AfD ist längst in den Fokus internationaler Netzwerke gerückt. Als stabiler politischer Akteur mit Überschneidungen zur Trump-Agenda hat die AfD strategische Bedeutung. Nicht umsonst traf sich JD Vance, amtierender US-Vizepräsident, während der Münchner Sicherheitskonferenz 2025 mit AfD-Chefin Alice Weidel – und forderte anschließend öffentlich, deutsche Parteien sollten die AfD nicht länger isolieren, sondern mit ihr zusammenarbeiten.

Auch Elon Musk, US-Milliardär und Minister für Regierungsreform, äußerte sich zustimmend zur AfD. Auf seiner Plattform X (ehemals Twitter) schrieb er: „Only the AfD can save Germany.“ Die Liste prominenter US-Unterstützer der AfD wird immer länger.

Für Spahn bedeutet das: Als Transatlantiker hat er nicht nur den Auftrag, diese Beziehungen auszubauen – sondern auch, die Wirtschaftsverbindungen zwischen den USA und Deutschland zu stärken. Dabei macht er keinen Hehl daraus, dass es eine gemeinsame transatlantische Strategie gegen China geben müsse. In Interviews sagte er: „Man muss anerkennen, dass Trump außenpolitisch häufig richtig lag: Unsere Iran-Politik war im Rückblick falsch, seine war richtig. Unsere Politik bei Nord Stream 2 war falsch, er hat davor gewarnt. Trump fordert seit vielen Jahren, Europa müsse selbst mehr für seine Sicherheit tun – davor haben wir zu lange die Augen verschlossen. Erst der Ukraine-Krieg hat uns die Augen geöffnet.“

Es wird daher kaum überraschen, wenn die sogenannte „Normalisierung“ der AfD weiter voranschreitet. Denn: Die transatlantischen Partner suchen stabile, verlässliche Kräfte – und die AfD scheint zunehmend bereit, diese Rolle in der neuen geopolitischen Realität zu übernehmen. Spahns CDU könnte darauf hinarbeiten, die Bedingungen für eine mögliche Koalition mit einer geschwächten AfD zu schaffen.

Quelle: Yeni Hayat / Neues Leben