ver.di-Führung würgt Arbeitskampf ab

Streikende im Mai in Ingelheim. Foto: opposition24.de / flickr  (CC BY-SA 2.0)Vor dem ver.di-Bundeskongress in der vergangenen Woche zeigte sich die Gewerkschaftsführung unnachgiebig und kämpferisch und sprach von weiteren und noch viel härteren Streiks bei den Kindertagesstätten. Nun sind Frank Bsirske und seine Vorstandskollegen wiedergewählt, und prompt gibt es eine Einigung im Tarifkonflikt bei den Sozial- und Erziehungsdiensten. Wie die Dienstleistungsgewerkschaft am Mittwoch mitteilte, haben sich ver.di und die kommunalen »Arbeitgeber« nach dreitägigen Verhandlungen auf eine »Nachbesserung der Schlichtungsempfehlung« verständigt. »Das Ergebnis sieht Verbesserungen für das Gros der Beschäftigten vor. Ein Durchbruch ist möglich geworden, weil die Arbeitgeber – anders als im August – zu einer deutlichen Veränderung der Schlichtungsempfehlung bereit gewesen sind. Die Verhandlungskommission empfiehlt der Bundestarifkommission und den Mitgliedern die Annahme dieses Ergebnisses«, erklärte ver.di-Chef Frank Bsirske in Hannover.

Die Vereinbarung sieht vor, dass zumeist jüngere Erzieherinnen und Erzieher in den unteren Erfahrungsstufen besser gestellt werden als zuvor. Einschließlich der aktuell ausgehandelten Anhebungen erhalten Vollzeitbeschäftigte nun zwischen 93 und 138 Euro mehr pro Monat. Damit sei es gelungen, dass im Berufsfeld Kindererziehung die Beschäftigten gleichmäßiger von einer Aufwertung profitieren und es für Berufseinsteigerinnen attraktiv bleibt, so ver.di. Zusätzlich gibt es Verbesserungen für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter im Allgemeinen Sozialdienst (S 14), die vom Schlichtungsergebnis nicht profitiert hätten. Sie erhalten nun zwischen 30 und 80 Euro monatlich mehr. »Wir bedauern, dass es nicht gelungen ist, für Sozialarbeiter außerhalb des allgemeinen Sozialdienstes mehr zu erreichen, als in der Schlichtungsempfehlung vorgesehen war. Angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung der wichtigen Arbeit von Sozialarbeitern und -pädagogen ist für künftige Aufwertungen noch viel Luft nach oben«, räumt Bsirske das Einknicken ein. Wie in der Schlichtungsempfehlung vorgesehen, profitieren auch die Leitungen von Kindertagesstätten und Einrichtungen der Behindertenhilfe.

»Das jetzt ausgehandelte Ergebnis trägt den Wünschen und Erfordernissen der Beschäftigten eher Rechnung als die abgelehnte Schlichtungsempfehlung«, sagte Bsirske. Die erneuten Verhandlungen seien sinnvoll und richtig gewesen, wenngleich die Unternehmer eine signifikante Ausweitung des Verteilungsvolumens abgelehnt hätten. »Allerdings seien beide Seiten in den Gesprächen daran interessiert gewesen, eine weitere Eskalation des Tarifkonflikts zu vermeiden«, heißt es vielsagend in der ver.di-Pressemitteilung.

Tatsächlich jubelt die »Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände« (VKA) bereits, dass sie die Gewerkschaft über den Tisch ziehen konnte: »Der Tarifabschluss liegt mit einem Kostenvolumen von rund 315 Millionen Euro geringfügig um neun Millionen Euro über der Schlichterempfehlung. Veränderungen wurden im Wesentlichen durch Verschiebungen innerhalb der Entgeltgruppen vorgenommen,« teilt der Unternehmerverband mit und rechnet vor: »Gefordert hatten die Gewerkschaften nach eigener Aussage ›durchschnittlich zehn Prozent‹, bei den Erzieherinnen und Erziehern waren es bis zu 21 Prozent. Die Forderungen umfassten insgesamt ein Kostenvolumen von rund 1,2 Milliarden Euro. Mit der Tarifeinigung steigen die Gehälter im Sozial- und Erziehungsdienst im Durchschnitt um 3,3 Prozent, die Steigerungen fallen für die einzelnen Berufsgruppen unterschiedlich aus. Das entspricht unserer Position, keine pauschalen Erhöhungen über alle Gruppen vorzunehmen.«

Auch Jutta Krellmann, die gewerkschaftspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, redet das Ergebnis schön: »Die gesellschaftliche Debatte über die Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe hat den Arbeitgebern jetzt Nachbesserungen abgerungen – das ist ein nicht zu unterschätzender Erfolg.« Krellmann weiter: »Die Beschäftigten haben nun zu entscheiden, ob diese Nachbesserungen des zuvor von ihnen abgelehnten Schlichterspruches eine Aufwertung ihrer Arbeit bedeutet. Ihnen ist es in ihrem allerersten Tarifkampf zur Aufwertung ihrer Berufe gelungen, eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für die Hochwertigkeit ihrer Tätigkeiten zu erreichen. Dass diese Akzeptanz sich jetzt in einem neuen Angebot niederschlägt, gibt den Beschäftigten und ihren Gewerkschaften auch für folgende Auseinandersetzungen ordentlich Rückenwind.«

Ganz anders klingen die Reaktionen von den Betroffenen. Unter der ver.di-Veröffentlichung des Tarifabschlusses auf Facebook machen sich viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter bereits in den Kommentaren Luft und hoffen auf ein erneutes »Nein« der Beschäftigten.

Die Vereinbarung soll rückwirkend zum 1. Juli 2015 in Kraft treten und bis zum 30. Juni 2020 laufen, also für nicht weniger als fünf Jahre gelten. Ab 1. Juli 2019 sollen Gespräche über die Erfahrungen mit dem Tarifabschluss stattfinden. »Die jahrzehntelange Lohndiskriminierung sozialer und frauentypischer Berufe lässt sich nicht im Handstreich beseitigen, bleibt aber weiter gewerkschaftliche Aufgabe. Das Ergebnis ist ein erster Schritt in Richtung Aufwertung, dem weitere folgen müssen«, redete sich Bsirske das Einknicken schön und erfüllt somit die Anordnung der VKA: »Es ist nun Sache der Gewerkschaften, dafür zu sorgen, dass endgültig auch dort die Weichen für eine Einigung und Befriedung gestellt werden.« Am Freitag, 2. Oktober 2015, werden Streikdelegierte und die ver.di-Bundestarifkommission in Fulda über das Ergebnis beraten. Es gilt eine Erklärungsfrist bis zum 31. Oktober 2015.

Quellen: ver.di, VKA, ver.di bei Facebook, Linksfraktion / RedGlobe