Andrea Kocsis: Unsere Welt erlebt ein Desaster. Die Welt ist im Ausnahmezustand.

Redebeitrag von Andrea Kocsis, stellvertretende ver.di-Vorsitzende, auf der Aktionskonferenz Abrü am 18. April 2021

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Aktive der Friedensbewegung,

unsere Welt erlebt ein Desaster. Die Welt ist im Ausnahmezustand. Ursache ist COVID-19 – ein gefährliches Virus, das schon sehr viele Menschenleben gekostet hat, über 3 Millionen. Die Ausbreitung des Virus hat Widersprüche, die schon länger vorhanden waren, dramatisch an die Oberfläche gespült. Dieses Desaster der Pandemie kommt in einer Phase, in der die Klimakrise und die atomaren Hochrüstung ebenfalls die Menschheit bedrohen. In einer Phase, in der Arbeit weltweit prekär geworden ist und so weit abgewertet, dass Menschen trotz Arbeit arm sind. Im Schatten der Corona-Krise stehen Klima-Krise, Hunger, Armut, wachsende Ungleichheit und menschliches Leid durch Gewalt und Krieg. So klar müssen wir die gegenwärtige Zeit benennen.

Wir treffen uns heute hier, weil wir dringend Veränderung brauchen. Wir brauchen Sicherheit für die Menschen. Sicherheit, damit wir alle auf dieser Erde gesund und in Frieden, mit guter Arbeit, in einer guten Umwelt ein gutes Leben führen können.

Wir treffen uns hier, weil wir zwischen den Gefahren der Pandemie, der Klimakrise und der Aufrüstung Zusammenhänge sehen. Und weil wir den Bedrohungen trotzen wollen, indem wir aktiv werden und unsere Selbstwirksamkeit nutzen. Wir müssen Spielraum für Weichenstellungen zugunsten von menschlicher Sicherheit gewinnen. Nur das ist unsere Chance in diesen Krisen.

Und diese Chance können und müssen wir nutzen. Und wir haben es gerade gehört:

Weit über hundert Aktionen haben beim Ostermarsch in diesem Jahr gezeigt, dass wir auch unter den Bedingungen der Pandemie politisch sichtbar und wirksam werden können.

Die Pandemie hat auf dramatische Weise die Folgen der derzeitigen Fehlentwicklung aufgezeigt. Es gibt Optionen für Alternativen. Das zeigen friedliche politische Prozesse zur Lösung von Krisen. Das zeigt uns das Pariser Klimaschutzabkommen. Das zeigen die Abrüstungsabkommen der letzten Jahrzehnte. Das zeigt der Atomwaffenverbotsvertrag, dessen Unterzeichnung wir von unserer Bundesregierung fordern. Das zeigt die Einsetzung der Projektgruppe der SPD zur Debatte um Drohnenbewaffnung. Es sind Dialoge und Verhandlungen, die zu Vereinbarungen von notwendigen Krisenlösungen und Verträgen führen. Wir als Gewerkschaften wissen vom Wert von Dialogen und Verhandlungen. Tausende von Tarifverträgen für unsere Mitglieder zeugen davon, über 32.000 Tarifverträge haben wir in den letzten 20 Jahren seit ver.di Gründung abgeschlossen. Und nur Verhandlungen führen zu Sicherheit, Konfliktbeilegung und Frieden.

In der Arbeitswelt und in Fragen der internationalen Sicherheit. „Wir müssen in Sicherheit investieren“, das erklärt uns unsere Verteidigungsministerin Ministerin Kramp-Karrenbauer. Hätte die Bundesregierung diese Weisheit wirklich befolgt, wäre schon jetzt viel Leid erspart geblieben. Aber sie meint natürlich militärische Sicherheit.

Was geschah zum Beispiel für unsere Sicherheit, als dem Bundestag vor acht Jahren der „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012“ vorlegt wurde? Ein Bericht, in dem das Robert-Koch-Institut vor einer Sars-Pandemie mit sechs Millionen erkrankten Menschen in Deutschland in der ersten Welle nach 300 Tagen warnte. Was geschah präventiv für unsere Sicherheit? Wir wissen es, es geschah nichts.

Die Bundesregierung plant nun weiterhin, die Rüstungsausgaben nahezu zu verdoppeln, auf 2 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung. So wurde es in der Nato vereinbart. Als gäbe es keine anderen sozialen, ökologischen, bildungs- und gesundheitspolitischen Prioritäten.

Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat 2017 die Entwicklung der Militärausgaben in Deutschland von 1925 bis 1944 und in der Bundesrepublik Deutschland von 1950 bis 2015 im Verhältnis zur gesamtwirtschaftlichen Leistung verglichen und berichtet. Demnach flossen in Deutschland seit 1950 weit über 6600 Milliarden Euro in die Aufrüstung. Weit über 6600 Milliarden Euro! Oder auch 6,6, Billionen Euro!

Das entspricht der doppelten gesamtwirtschaftlichen Leistung des Landes. Welche herausragenden öffentliche Bildungs- und Gesundheitsdienste, welche Bildungsgerechtigkeit, welche Pandemieprävention hätten wir heute , wären die politischen Weichen zugunsten des Friedens und der Abrüstung ausgegangen?

Doch die politischen Weichen stehen weiter auf Aufrüstung.

Die Bundesregierung hat der Nato erneut Verteidigungsausgaben in Rekordhöhe gemeldet, für 2021 einen Betrag von 53 Milliarden Euro. Dies entspricht einer Steigerung um 3,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Wozu?

Unsere Steuergelder sollen für Transportflugzeuge, Eurofighter-Kampfjets an die Luftfahrtindustrie fließen. Die Beschaffung von vier hochmodernen Kriegsschiffen vom Typ MKS 180 kostet weit über 5 Milliarden Euro. Diese Kriegsschiffe sollen für Militäroperationen in allen Klimazonen einsetzbar sein.

Unfassbar, dass in Zeiten der Pandemie die Weichen für das teuerste Kriegswaffensystem aller Zeiten gestellt werden. So wurden am letzten Mittwoch, am 14. April die ersten Tranchen für das Superluftwaffensystem „Future Combat Air System“ im Bundestag beraten. Allein der Name ist empörend. Die Zukunft als Luftschlacht, wie in den gruseligen Computerspielen. Das ist unerträglich. Und unerträglich sind auch die gigantischen Summen, die für die Zukunft der Luftschlachten kalkuliert werden. Entwicklungskosten 100 Milliarden Minimum. Anschaffungskosten und Unterhalt nicht unter 500 Milliarden Euro. Es handelt sich bei dem „Future Combat Air System“ um ein System, das Atombomben im Schutz von Drohnenschwärmen ins Ziel bringen soll.

Zusammen mit der geplanten Stationierung modernisierter US-Atombomben bedeutet der Kauf der neuen Trägersysteme eine erhebliche Steigerung der nuklearen Schlagkraft in Deutschland. Das Vorhaben wäre die bedeutendste und teuerste nukleare Aufrüstung seit fast 30 Jahren. Die Gefahr des Atomkrieges steigt weiter auf eine höhere Stufe, wenn dabei autonome und teilautonome Systeme zum Einsatz kommen. Das können und das wollen wir nicht hinnehmen.

Aber wir müssen nicht nur diese Pläne zum Verschleudern unserer Steuergelder angehen. Wir müssen auch die Analysen und Szenarien hinterfragen, die den Aufrüstungsplänen zugrunde liegen.

In diesen Tagen beunruhigen uns sehr die gewachsen Spannungen in Osteuropa. Die Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) warnen vor einer Eskalation des Konfliktes zwischen Russland und der NATO und fordern die Bundesregierung auf, deeskalierende Maßnahmen zu ergreifen wie zum Beispiel die Einberufung des NATO-Russland-Rates. In den Medien finden sich viele Berichte über die Stationierung russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine und auf der Krim. Wenig geschrieben wird über das NATO-Manöver Defender Europe 21, bei dem Deutschland zu einer Drehscheibe für Militärtransporte wird, das coronagerecht dieses Jahr noch nachgeholt wird. Das größte Militärmanöver seit dem 2. Weltkrieg.

Ziel der Großübung mit 30.000 Soldat*innen aus den USA und anderen NATO-Staaten ist es, verschiedene Truppen über eine große Distanz nach Osten in die Schwarzmeerregion in unmittelbare Nähe zur Ukraine zu verlegen. Das Manöver soll jetzt beginnen, der Hauptteil der Truppenverlegungen im Mai erfolgen. Deutschland ist mit Budget und Personal beteiligt am Manöver. Die Türkei beliefert die Ukraine mit Drohnen, deren Typ im vor wenigen Monaten im Krieg zwischen Aserbaidschan gegen Armenien viele Menschen tötete. Die Lage ist hochbrisant. Ohne Betrachtung aller Faktoren kann keine Entschärfung gelingen. Bei der Beurteilung der Sicherheitslage in Europa müssen wir feststellen, nicht Russland ist an die Grenze der NATO vorgerückt, sondern die NATO bis an die Grenzen Russlands. Dabei hat sich die NATO gleichzeitig von 16 auf 30 Mitgliedsländer erweitert.

Auch ein Blick auf die Rüstungsbudgets ist aufklärend für das Empfinden von Sicherheit und Bedrohungen. Das US-Budget beträgt mit 738 Milliarden Dollar das Zwölffache der russischen Ausgaben von 60,6 Milliarden Dollar. Der Rüstungshaushalt der NATO beträgt gegenwärtig fast das Zwanzigfache von dem Russlands.[1] Und noch nie seit den frühen 1990er Jahren war die militärische Belastung des globalen Einkommens so hoch wie heute.

Das Krieg keine Lösung ist, sehen wir in Afghanistan. Der Krieg gegen den Terror, der nun fast 20 Jahre währende Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan soll mit Bundeswehrbeteiligung fortgesetzt werden, obwohl dieser längste und teuerste Einsatz für den Frieden und die Sicherheit der Menschen in Afghanistan erfolglos war. Die USA werden deshalb nun nach zwei Jahrzehnten des Krieges ihre Truppen aus Afghanistan abziehen.

Was wir dringend brauchen ist ein erweitertes und auch ein historisch untermauertes Verständnis von Sicherheit, das neben physischer Sicherheit auch soziale Sicherheit umfasst. Wir brauchen Sicherheit, damit alle Menschen selbstbestimmt und würdevoll und von guter Arbeit leben können. Sicherheit, damit alle Menschen gegen die Risiken des Lebens wie Armut, Krankheiten, Unfälle und im Alter abgesichert sind. Damit sie mit ihren Angehörigen angstfrei leben und ihre Persönlichkeit entfalten können. Aber Sicherheit bedeutet für uns Gewerkschaften, vor allem soziale Sicherheit, sichere Beschäftigung, ein existenzsicherndes Einkommen, einen leistungsfähigen Sozialstaat, eine zukunftsfähige Infrastruktur und Sicherheit durch die friedliche Lösung aller Konflikte.

Voraussetzung für Sicherheit und ein gutes Leben sind Frieden und Abrüstung.

Diesen Zusammenhange sieht wohl auch der UN-Generalsekretär António Guterres. Angesichts der Corona-Pandemie rief er zu einem globalen Waffenstillstand auf. Denn in dieser Zeit benötigen wir weltweit mehr Ressourcen, um die Pandemie einzudämmen und die anderen großen Probleme dieser Welt zu lösen. „Die Heftigkeit des Virus verdeutlicht, wie unsinnig Kriege sind”, betonte Guterres bereits im vergangenen Jahr.

Die Welt braucht einen globalen Waffenstillstand, um die „heißen Konflikte“ zu beenden, und wir müssen alles tun, um einen neuen Kalten Krieg zu vermeiden. Doch sein dringender Appell blieb und bleibt weiterhin ungehört. Die heutige Situation ist von anhaltenden Konflikten gekennzeichnet: im Jemen, Syrien, Mali, Äthiopien, der Ukraine und vielen anderen Ländern.

Die Rüstungsexporte sind weiterhin auf einem hohen Niveau, die Militärhaushalte steigen weiter, die Rüstungsindustrie boomt und die Rüstungskontrollverhandlungen stecken in einer Sackgasse. Angesichts der verstärkten geopolitischen Rivalitäten erleben wir das Gegenteil von einem „Vorstoß für Frieden und Versöhnung“.

Statt in friedliche Sicherheit investieren Regierungen in den entwickelten Ländern vor allem in neue Technologien: künstliche Intelligenz, das automatisierte Schlachtfeld, unbemannte Drohnen, militärisch relevante Raumfahrttechnik, aber auch in die Modernisierung von Atomwaffen und ihren Trägersystemen. Dieser Trend ist besonders beunruhigend, da es keine ernsthaften Initiativen zur Rüstungskontrolle gibt, warnt der Friedensforscher Herbert Wulf.

Nuklearwaffen stellen die Spitze des Potenzials gegenseitiger Zerstörung und Vernichtung dar, grausamer ist fast nicht mehr vorstellbar. Die US-Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki haben uns die grausame Wirkungsweise gezeigt, wozu Menschen in kriegerischen Auseinandersetzungen fähig sind. Nukleare Aufrüstung bedeutet, dieses Zerstörungs- und Vernichtungspotenzial in besonderem Maße zu steigern. Doch statt sich dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt zu nähern, würde Deutschland mit dem Kauf neuer, atomwaffenfähiger Kampfflugzeuge den Pfad der nuklearen Abrüstung verlassen. Und das in einer Zeit, in der Atommächte mit der Modernisierung ihrer Waffensysteme das Wettrüsten anheizen.

Die Milliarden, die für Anschaffung und Betrieb der Atomwaffenträger notwendig sind, wären besser investiert in ein handlungsfähiges Gesundheitswesen, in Forschung und Entwicklung von Medikamenten, Impfstoffen und in die Unterstützung anderer Staaten in der Bekämpfung der Pandemie. Statt in Potenziale gegenseitiger Zerstörung und Vernichtung zu investieren und so die Spirale gegenseitiger Furcht und Bedrohung zu steigern, muss alles getan werden, um Misstrauen abzubauen, Dialoge zu führen, Vertrauen aufzubauen und Kooperation zu stärken. Auf geopolitischer Ebene spielt die Bundesrepublik dabei keine unwesentliche Rolle.

Auf den Kauf von neuen Atomwaffenträgern zu verzichten, würde die Chance bieten für eine offene Debatte über den Sinn und Zweck atomarer Abschreckung. Ohne die Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland wäre der Weg für die Bundesregierung frei, dem UN-Vertrag über ein Verbot von Atomwaffen beizutreten, wie es unser Nachbarland Österreich bereits vorgemacht hat.

Gerade jetzt, in einer Phase, in der durch die großen Schutzschirme, durch Nachtragshaushalte und Konjunkturprogramm erhebliche und notwendige Anstrengungen unternommen werden, geht es um Verteilungsfragen. Hier geht es um die öffentlichen Haushalte, um die Frage, welchen Stellenwert die in letzter Zeit so häufig als systemrelevant gelobten öffentlichen Dienstleistungen haben. Es geht um Prioritätensetzung bei der Frage, wie wir unser Zusammenleben gestalten wollen und welche materiellen und sozialen Infrastrukturen wir dafür benötigen.

Die Aufrüstungsbefürworter argumentieren oft damit, dass mit potenteren Waffensystemen mögliche Angreifer wirksamer abgeschreckt werden könnten. – und sofern nicht von „asymmetrischen Bedrohungen“ durch nicht-staatliche Akteure die Rede ist, ist im NATO-Kontext mit „Angreifer“ in aller Regel und vor allem Russland gemeint – Doch auf der anderen Seite wird die vermeintlich wirksamere Abschreckung wiederum als Bedrohung erlebt – und der Schritt liegt nahe, dass die andere Seite darauf ihrerseits mit weiterer Aufrüstung reagiert. So entstehen Teufelskreise immer weiterer Aufrüstung mit immer größeren Vernichtungspotenzialen – von mehr Sicherheit kann dabei für keine der beteiligten Seiten die Rede sein, es wird nur immer mehr Geld, Energie und Lebenskraft für Zerstörungs- und Vernichtungsmittel verausgabt, an denen kein vernünftig denkender Mensch ein Interesse haben kann.

Und statt sich um Entspannung und Dialog zu bemühen, jetzt weiter aufzurüsten ,das kann man nur als verantwortungslos bezeichnen. Diese Verantwortungslosigkeit muss stärker und öffentlicher skandalisiert werden. Frieden lässt sich nicht sichern, indem immer aufwändigere und kostspieligere Drohpotenziale geschaffen werden.

Wir fordern eine Haushaltspolitik, die Abrüstung zur Priorität macht. Wir fordern ein klares NEIN zum 2-Prozent-Aufrüstungsziel der NATO.

Wir sagen NEIN zur Stationierung von Atomwaffen in Deutschland.

Wir sagen NEIN zur nuklearen Teilhabe der Bundesrepublik.

Im Juli 2017 einigten sich 122 UN-Mitgliedsstaaten auf ein umfassendes Verbot von Atomwaffen. Deutschland boykottierte diesen Prozess, ebenso wie alle anderen Staaten, die auf ihrem Territorium Atomwaffen stationiert haben.

Zwar spricht sich die Bundesregierung offiziell für eine atomwaffenfreie Welt aus, doch an der nuklearen Teilhabe der NATO hält sie fest, obwohl jeder Einsatz von US-Atomwaffen durch deutsche Piloten einen klaren Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag, die Genfer Konventionen und den Atomwaffenverbotsvertrag darstellen würde.

Vor zehn Jahren sprach sich der Bundestag[2] mit sehr breiter Mehrheit für atomare Abrüstung aus. „Deutschland muss deutliche Zeichen für eine Welt frei von Atomwaffen setzen“, so lautete die Überschrift.

Jetzt müssen Taten folgen.

Wir brauchen eine Politik für die soziale und ökologische Gestaltung der Transformation – eine Transformation, die viel Geld, Kraft und Energie kosten wird, die aber auch zwingend notwendig ist.

Die Bedrohung unserer Überlebensgrundlagen ist menschengemacht, sie resultiert aus einer übermäßigen Nutzung natürlicher Ressourcen, welche u.a. die Artenvielfalt mindert, und einer Überlastung von Grenzen planetarischer Tragfähigkeit, für die am prominentesten die Emission von Klimagasen wie CO2 steht, die zu einer globalen Erwärmung führt.

Ein Kurswechsel für ein Leben, Arbeiten und Wirtschaften innerhalb eines sicheren Handlungsraums für die Menschheit, erfordert erhebliche Veränderungen unserer Mobilität, der Energieerzeugung und Verwendung, der Nahrungsmittelproduktion und vieler weiterer Bereiche.

Dieser Kurswechsel wird nur möglich sein, wenn er mit Sicherheit für die Menschen einhergeht, Sicherheit im zuvor beschriebenen, weiteren Sinne.

Das erfordert einen aktiven und handlungsfähigen Staat, der den Wandel im Sinne des Gemeinwohls begleitet und gestaltet. Aber eigentlich ist das nicht nur die Aufgabe eines Staates im Sinne eines Nationalstaats. Es ist die Aufgabe aller Staaten, der Staatengemeinschaft dieser Welt. Ihre Institutionen gilt es daher zu stärken und zu demokratisieren. Dazu braucht es aber statt einer Atmosphäre der wechselseitigen Furcht und Bedrohung ein friedliches Miteinander. Darauf sollten sich alle Bemühungen konzentrieren, hier sollte die Europäische Union mit gutem Beispiel vorangehen und sich mit ihren Mitgliedsstaaten auf internationaler Ebene dafür einsetzen.

Eine Politik für die Zukunft der Menschheit braucht Frieden und Abrüstung.

Deshalb sagen wir:

Nein zu einer Erhöhung der Militärausgaben!

Nein zu Rüstungsexporten! Abrüsten statt Aufrüsten!

Für eine neue Entspannungspolitik jetzt!

Für ein Europa des Friedens und der Abrüstung!

Wir brauchen mehr Engagement und Mut für eine Umwandlung,

einer Umstellung der Produktion von Rüstungsgütern auf zivile Produkte,

wir brauchen Abrüstung statt Aufrüstung,

Zum Abschluss möchte ich auf zwei wichtige Handlungsfelder verweisen, die lokalen und die bundespolitischen Ebenen. Beide sind wichtig und können zusammen etwas bewirken.

Engagement findet zuerst vor Ort statt. Und da gibt es viele Optionen und gute Beispiele. Im März startete die Hamburger Volksinitiative gegen den Transport und Umschlag von Rüstungsgütern über den Hamburger Hafen! Diese Initiative fordert:

„Senat und Bürgerschaft schaffen innerhalb eines Jahres eine Rechtsgrundlage, die den Transport und Umschlag von Rüstungsgütern über den Hamburger Hafen verbietet und unternehmen alle notwendigen und zulässigen Schritte, um dieses Verbot unverzüglich umzusetzen.“

Ausgangspunkt ist die Situation, dass der Hafen nicht nur zivile Güter, sondern auch Waffen, Munition und Kriegsgerät verschifft. Wir finden, dass sowohl Produktion als auch Handel ausschließlich friedlichen Zielen dienen darf. Doch in und um Hamburg produzieren momentan mehr als 93 Unternehmen Rüstungsgüter. Über den Hafen werden pro Jahr 1.000 Container mit Munition, Waffen, Panzerwagen, Panzer, Raketenwerfer und Kriegsschiffe verschifft. Transportiert wird zum Beispiel nach Mexiko, Brasilien oder Kolumbien – in Länder, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, aber auch nach Saudi-Arabien und in die Türkei, die damit unter anderem im Jemen, in Syrien und gegen die Kurd*innen Krieg führen.

Die Initiative „Ziviler-Hafen“ ist ein großartiges Beispiel für gute lokale Friedensarbeit. Es ist ein Bündnis aus verschiedenen Friedensorganisationen, gewerkschaftlich und hochschulpolitisch Aktiven, Gruppen aus sozialer und Klimabewegung, Migrant*innenorganisationen, Menschen aus religiösen Zusammenhängen sowie Künstler*innen.

Neben den lokalen Initiativen hat die Bundespolitik eine zentrale Bedeutung. In wenigen Monaten wird einer Bundestag gewählt. Im Wahlkampf müssen wir unsere Forderungen nach Abrüstung und neuer Sicherheitspolitik gut sichtbar machen.

Ver.di hat dazu folgende Position formuliert:

„Eine aktive Friedenspolitik erfordert Abrüstung statt Aufrüstung. Deutschland muss atomwaffenfrei werden und dem Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen beitreten. Frieden muss durch Intensivierung von Dialog, Kooperation und der Bekämpfung struktureller Konfliktursachen gefördert werden. Die EU muss wieder als Projekt des sozialen Friedens gestärkt werden und die gemeinsamen demokratischen, rechtstaatlichen und humanitären Werte achten und schützen.“

Das sind die Forderungen von ver.di an die künftige Bundesregierung. Das muss im kommenden Regierungsprogramm aufgenommen werden. Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, dann müssen wir mit den Kandidat*innen jetzt ins Gespräch kommen. Das kann vor Ort, aber auch durch überregionale Formate Online erfolgen. In der vergangenen Woche haben wir uns als ver.di entschieden, das Thema Friedenspolitik in unsere 5 Themenwochen zur Bundestagswahl aufzunehmen.

Machen wir uns an die Arbeit!

Verstärken wir unser Engagement für Abrüstung, stärken wir die Friedensinitiativen in unseren Regionen, sprechen wir mit unseren Kolleg*innen, unseren Nachbarn, unseren Freunden und Abgeordneten.

Wir werden zusammen daran arbeiten, dass die Corona-Pandemie nicht alle anderen Themen überlagert.

Wir wissen, dass wir die Mehrheit der Menschen auf und an unserer Seite haben.

In diesem Sinne danke ich euch für eure Aufmerksamkeit.

[1] Nach dem SIPRI-Jahrbuch von 2020  betragen die Rüstungsetats 2019 der USA allein 732 Mrd. und der NATO 1040 Mrd. $, während der Haushalt Russland bei 65 Mrd. $ liegt.

[2] Entschließung der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 17/1159

 

Quelle: Abrüsten statt Aufrüsten – Andrea Kocsis: Unsere Welt erlebt ein Desaster. Die Welt ist im Ausnahmezustand.