Polizei als Big Brother

ZLV - Zeitung vom Letzebuerger Vollek
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Big Brother is watching you. Dieser Satz aus George Orwells Roman »1984« soll für die großherzogliche Polizei künftig noch mehr gelten, als es in unserem Alltag längst normal geworden zu sein scheint. Unter dem Beifall der bekannten Law-and-Order-Politiker aus CSV und ADR und der demonstrativen Zuversicht der oppositionellen Piraten und Linken hat der Regierungsrat aus DP, LSAP und Grünen am Freitag beschlossen, die großherzogliche Polizei mit an der Uniform befestigten Minikameras, sogenannten Bodycams, auszurüsten.

Die kleinen Digitalkameras sollten potentielle Gewalttäter abschrecken und im Ernstfall Beweise sichern, erklärte der grüne Minister für Innere Sicherheit Henri Kox am Dienstagnachmittag auf einer Pressekonferenz, nachdem er zuvor die zuständige Chamberkommission ins Bild gesetzt hatte. Die Kosten des im Koalitionsvertrag noch als Testbetrieb geplanten »Modernisierungsprojekts«, das nun zu einer »sukzessiven generalisierten Einführung« der Körperkameras für möglichst alle uniformierten Polizisten angewachsen sei, seien vorläufig auf sechs Millionen Euro für die nächsten vier, fünf Jahre veranschlagt worden. Außerdem nahm Alain Engelhardt, »Directeur central stratégie et performance« in der Polizeiführung, an der Pressekonferenz teil.

Ihm zufolge sollen die Bodycams »vorrangig« Übergriffe auf Polizisten verhindern. Sie besäßen »eine abschreckende Wirkung auf potentielle Gewalttäter«, behauptete Engelhardt. Polizisten mit Bodycams würden gesonderte Kennzeichnungen tragen. Bei Straftaten, auch bei solchen in den zumindest »grundsätzlich durch das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung geschützten« eigenen vier Wänden, erhalte man durch die Aufnahmen gerichtsverwertbare Audio- und Videobeweise in sehr guter Qualität.

Allerdings sollen die Bodycams nicht immer aufzeichnen. Erst wenn sich der jeweilige Polizist angesichts einer »schwierigen Einsatzsituation« dazu entscheide, sie anzuschalten, würden die zurückliegenden 30 Sekunden, die automatisch gefilmt wurden, dauerhaft und unveränderbar gespeichert. Dann sollen die Filmsequenzen über einen Zeitraum von 28 Tagen auf »sicheren« Computerservern der Polizei archiviert und nach Ablauf dieser Frist gelöscht werden – sofern man sie nicht zur weiteren Strafverfolgung nutzen will.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) hatte in der Vergangenheit vor Bodycams für die Polizei gewarnt. Bei deren Einsatz handle es sich um einen »Eingriff in das Recht auf Privatsphäre und die informationelle Selbstbestimmung« der Gefilmten. Darüber hinaus müsse die Bodycam »im Sinne der Rechtsstaatlichkeit« gleichermaßen für Polizei und Bürger Transparenz schaffen. Zumal die Polizei nicht nach eigenem Ermessen über das Anschalten der Kameras entscheiden können sollte. Polizisten sollten vielmehr verpflichtet werden, bei der Anwendung von »unmittelbarem Zwang« die Bodycam einzuschalten, fordert ai.

Kritiker führen auch an, es sei keinesfalls erwiesen, daß die Kameras »präventiv wirken« oder »für Deeskalation sorgen«, wie Minister Kox behauptet. Im Gegenteil, mit dem Einsatz der Körperkameras steigt die Gewalt durch und gegen Polizisten sogar: Laut einer 2016 im »European Journal of Criminology« veröffentlichten sozialwissenschaftlichen Studie waren mit Bodycam ausgerüstete Polizeikräfte bei Festnahmen nicht nur signifikant häufiger gewalttätig als ihre Kolleginnen und Kollegen aus den Kontrollgruppen, sondern sie wurden auch vergleichsweise öfter selbst angegriffen.

Darüber hinaus kommt eine im selben Jahr veröffentlichte Studie der Temple University im USA-Bundesstaat Philadelphia zu dem Schluß, daß die Kamera am Körper die Wahrscheinlichkeit des polizeilichen Schußwaffengebrauchs signifikant erhöht.

Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek