Wenn neoliberale Dogmen im Schulwesen Einlass erhalten…

ZLV Zeitung vum Letzeburger Vollek
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Bereits der Urvater des neoliberalen Kapitalismusmodells, Milton Friedman, plädierte in seinen frühen Schriften für die Einführung der Rentabilitätslogik im Bildungssektor, um dergestalt die »staatlich-bürokratische« Verwaltung zu brechen im Hinblick auf »Effizienz«, »Innovation« und »Demokratie«. Privatisierung und Deregulierung der Bildungssysteme als Chance für gewinnorientierte Unternehmen sozusagen. Mit den WTO-Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) ist das Wunschdenken des US-amerikanischen Marktextremisten weltweit schleichend zur Realität geworden.

Wer wissen möchte, wie Privatisierung und Durchkapitalisierung sich auf das Bildungswesen und die gesellschaftlichen Verhältnisse auswirken, der schaue nach Britannien, wo die öffentlichen Schulen von den aufeinanderfolgenden neoliberalen Regierungen finanziell zusehends im Stich gelassen, während Privatschulen für Zöglinge der Bourgeoisie im gleichen Zeitraum privilegiert und massiv bezuschusst wurden. Ein großer Teil der öffentlichen Bildungseinrichtungen befindet sich aufgrund der oktroyierten Autonomie im Konkurrenzkampf.

Ganze Schulbezirke sind seit den 90er Jahren an Bildungsconsultings ausgelagert worden, die nicht nur Profite erzielen mit der Organisation paraschulischer Aufgaben wie Transport, Reinigung und Schulspeisung, sondern die Lernstätten als reine Dienstleistungsorte mit Verwertungspotential betrachten. Die Verwaltung der jeweiligen Schulen liegt ebenfalls in den Händen dieser privaten »Investoren«.

Aus Gründen der Profitmaximierung ist es in den vergangenen Jahrzehnten zu einem finanziellen Zurechtstutzen der Bildungsinstitutionen gekommen – sowohl von Seiten der Unternehmen als auch des kapitalistischen Staats –, mit den entsprechenden Folgen: schlecht bezahlte Lehrer mit Zeitverträgen, verfallende Gebäude, fehlendes Schulmaterial, Abspeisung der Schüler in den Kantinen mit minderwertiger Nahrung. Leidtragende sind auf der Insel in erster Linie die Arbeiterkinder, die aktuell ein besonders trostloses Dasein fristen müssen.

Seit der OECD-Kritik am Luxemburger Bildungsmodell sind hierzulande zahlreiche Reformen erfolgt, welche die Weichen für eine ähnlich geartete Zukunft gesetzt haben – gerade unter DP-Minister Claude Meisch, für dessen Partei die neoliberalen Dogmen als Leitfaden gelten. Die Bildungsgewerkschaften SEW und APESS, die sich zu einem fortschrittlichen Aktionsbündnis zusammengeschlossen haben, vergleichen diesen Privatisierungsprozess anschaulich mit dem Zusammenlegen von Puzzlestücken. Das Outsourcen technischer Dienste, die Schulautonomie, die planlose Digitalisierung oder die Zerstückelung der Bildungsprogramme haben das Schulwesen nach und nach in einen lukrativen Markt transformiert.

Die drei großen Lehrergewerkschaften müssen unbedingt an einem Strang ziehen, um der ideologisch motivierten Privatisierungspolitik der Regierung Einhalt zu gebieten und soziale Alternativen aufzuzeigen. Die Anfang Februar stattfindende Petitionsanhörung in der Chamber ist eine erste Chance, um diesen Zusammenhalt öffentlich zu demonstrieren. Erwarten sollte man sich von dieser rhetorischen Übung indes nicht allzu viel, denn beim Vortäuschen von Interesse und Engagement erweisen sich die Abgeordneten der bürgerlichen Parteien stets als erprobte Schauspieler. Aufklärung, Protest und gewerkschaftlicher Druck müssen auch in den Schulgemeinschaften selbst und – falls notwendig – auf der Straße stattfinden.

Alain Herman

Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek – Unser Leitartikel: <br/>Wenn neoliberale Dogmen im Schulwesen Einlass erhalten…