Gegen die Interessen der Herrschenden

Am Montag, dem 4. Januar 2021, wurde eine richterliche Entscheidung zur drohenden Auslieferung von Julian Assange an die USA getroffen. Der Kampf gegen die Auslieferung war enorm wichtig, doch Assange bleibt hinter Gittern, er wird nicht auf Kaution freigelassen, und die USA haben Revision eingelegt. Assange wird nur aufgrund des Suizidrisikos nicht ausgeliefert, andere Argumente seiner Anwälte wurden nicht zur Kenntnis genommen.

Das ganze Verfahren schadet der Pressefreiheit. In den Wikileaks-Papieren sehen wir Beweise für Kriegsverbrechen, und der »Morning Star« war die einzige britische Zeitung, die regelmäßig darüber berichtet hat. Abgesehen von einigen Blogs schwiegen andere Medien. Auch über frühere wichtige Enthüllungen wurde nicht berichtet, etwa die Aussagen von Daniel Ellsberg, der 1971 die Pentagon-Papiere veröffentlicht hatte, in denen die Lügen mehrerer USA-Regierungen während des Vietnamkriegs offengelegt wurden. Die Gründe für dieses Desinteresse sind klar. Die vielen Beweise für Folter und Morde beschädigen den Anspruch der USA, Vorreiter der Menschenrechte und der Demokratie zu sein. Argumente dagegen zu hören liegt schlicht nicht im Interesse der Herrschenden.

Im Fall Assange sagen medizinische Fachleute, daß er Opfer von weißer Folter, also schwer nachweisbarer Foltermethoden, geworden ist, und mehr als sechzig Ärzte haben in einem Brief an die britische Innenministerin dagegen protestiert. Diese brutale Behandlung durch den britischen Staat unterhöhlt die Ansprüche dieses Staates, gemäß den Menschenrechten zu handeln.

Auch die Art der Anklage ist ungewöhnlich, wie viele Journalisten weltweit zugeben mußten, darunter auch der Herausgeber der »New York Times«. Eine Verfolgung von Hinweisgebern wie Chelsea Manning ist ungerecht, denn die Informationen, die sie offengelegt haben, waren in öffentlichem Interesse. Doch Manning war sozusagen ein klassischer Fall, bei dem ein Staatsangestellter für das Offenlegen von Staatsgeheimnissen verfolgt wurde. Bei Assange ist es anders, hier wurde ein Journalist verfolgt und angeklagt, der nicht einmal USA-Bürger ist. Eine solche Strafverfolgung bedeutet, daß jeder Journalist aus einem anderen Staat, wenn er den USA-Behörden nicht genehmes Material veröffentlicht, Gefahr läuft, verfolgt und ausgeliefert zu werden. Was Assange getan hat, ist das, was auch andere investigative Journalisten täglich tun. Das Verfahren öffnet also Tür und Tor für USA-Behörden, gegen andere Journalisten ähnliche Maßnahmen zu ergreifen. Es handelt sich mithin um ein problematisches Verfahren – in einer Zeit, in der die Pressefreiheit ohnehin schon bedroht ist.

In Britannien beobachten wir immer mehr Fake News und Verschwörungsmythen, die die Realität von Covid-19 leugnen, und zugleich eine immer stärker werdende Unterdrückung der politischen Meinung. Zum Beispiel ist es im Rundfunk nicht mehr erlaubt, etwas zu äußern, was als »Haßrede« eingeordnet wird. Lehrer wurden angewiesen, antikapitalistische Materialien nicht mehr im Unterricht zu verwenden. Es gab auch Aufrufe an Supermärkte, den »Morning Star« nicht mehr zu verkaufen. Der Widerstand dagegen ist Teil eines größeren Kampfes für die Pressefreiheit. Die Zensur wird verschärft, die freie Rede wird oft nur noch bei Rechten und ihren Gewaltaufrufen zugelassen. Unsere Freiheit, die Verbrechen des Kapitalismus aufzudecken, ist bedroht.

Ben Chacko, London
Der Autor ist Chefredakteur der kommunistischen britischen Tageszeitung »Morning Star«

Quelle: Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek – Gegen die Interessen der Herrschenden